Bei meinem deutschen Bootsnachbar Klaus war ich vor einigen Tagen auf dem Boot, wo wir die Strategien der Route von Réunion nach Südafrika besprochen haben. Das Wettergeschehen südlich vom Madagascar ist grenzwertig und die Querung des Mozambique Channels und des Agulhas Stromes noch schlimmer. Klaus ist ein erfahrener Skipper der mir wertvolle Tipps geben konnte
Auf der Nordhalbkugel ist der Golfstrom der stärkste Strom von allen Meeresströmungen – auf der Südhalbkugel ist es der Agulhasstrom (Hatte ich nie zuvor von gehört). Er fliest in südwestliche Richtung zwischen Madagaskar und Südafrika (und auch südlich von Madagaskar) und kann bis zu 5 kn betragen. Glücklicherweise fließt er in die gleiche Richtung wie ich zu segeln habe. D. h. wenn ich mich in diesem Strom befinde und achterlichen Wind, oder Wind querab haben werde, muss ich damit rechnen hier mit 10 kn übers Meer zu düsen. Das ist schön und völlig ok.
Aber – und jetzt kommt der Knackpunkt – nur dann. Sobald ich südliche Winde habe und somit Windrichtung und Stromrichtung entgegengesetzt aufeinander treffen, ist hier die Hölle los. Je nachdem wie lange diese Winde in diese Richtung gehen und mit welcher Stärke, bauen sich hier kurze steile Wellen auf, die 20 m und mehr betragen können. Hohe Wellen sind kein Problem, wenn sie lang sind. Im Pazifik hatte ich Wellen von knapp 10 m erlebt. Die waren harmlos, weil sie lang waren. Das Boot wurde langsam wie in einem Fahrstuhl nach oben getragen.
Aber sind die Wellen kurz und steil, dann brechen sie. Und wenn das direkt neben dem Boot passiert, oder gar über dem Boot, dann wird’s mehr als gefährlich.
In der Tat ist die Passage von Réunion nach Südafrika gefährlicher als die Umrundung Kap Horns. Das klingt beim ersten Zuhören unglaublich, ist aber tatsächlich so, denn die Umrundung Kap Horn ist nur auf einer Strecke von wenigen Hundert Seemeilen kritisch. Hier hat man die Möglichkeit zuvor in nahen Häfen oder Ankerplätze auf ein günstiges/sicheres Wetter/Zeitfenster zu warten und dann loszufahren. Bei dieser Vorgehensweise ist die Unrundung relativ unkritisch.
Diese Möglichkeit hat man hier nur bedingt, da die Passage durch den Agulhasstrom weitaus länger ist. Allein die Strecke von der Südspitze Madagaskars bis zu Südspitze Südafrikas beträgt 1.400 sm. D. h. hier auf ein günstiges Zeitfenster zu warten hilft nur für die ersten drei vier Tage der Passage, eben nur so lange wie die Wettervorhersage eine gewisse Genauigkeit aufweist. Mit jeden Tag zusätzlicher Reisezeit verliert sich die Verlässlichkeit und Genauigkeit der Wetterprognose. Und bin ich einmal losgefahren und habe drei- oder vierhundert Seemeilen hinter mir, befinde ich mich mitten auf dem Meer, ohne die Möglichkeit, in einem Hafen oder einer Bucht auf Wetteränderung zu warten. Kap Horn hätte ich nach dieser Entfernung bereits umrundet.
Hier im Agulhasstrom sind in den letzten 20 Jahren 20 Containerschiffe über 200 m Länge mitten durchgebrochen und/oder total verschwunden. Da kann selbst Kap Horn “nicht mithalten“.
Aus dem Internet:
„Since 1990 20 ships have been devastated by rogue waves off the coast of South Africa. Scientists like Marten Grundlingh decided to find out what was going on in these waters to make them so dangerous, so they plotted the locations of all the accidents on a chart and when they laid this over an infrared image of the ocean they noticed a very striking pattern. All the points lay along the same strong ocean current, the AGULHAS CURRENT.
…all the accidents that occurred off the South African coast they’re all located in this red band and this band signifies the AGULHAS CURRENT which is a major current flowing down the South African coast…“
….These things are not really what used to be called freak waves. They’re not of a freakish nature, but they’re quite common. They will occur every time that there are waves moving against the current and that happens very, very often.“ Das ist beängstigend, oder? „…quite common“. D. h. „ziemlich normal“.
Und „weltweit“:
„Severe weather has sunk more than 200 supertankers and container ships exceedingly 200 metres in length during the last two decades.“
Wie überquert man den Mozambique Channel (samt Agulhasstrom) denn nun? Indem man das richtige Wetterfenster abwartet. D. h. man darf sich nicht dem Strom nähern, wenn südliche Winde zu erwarten sind. Befindet man sich nahe der Afrikanischen Küste und in der Nähe dieses Stromes und der Wind dreht auf südliche Richtung, darf man nicht weiter segeln sondern muss auf dem Meer „beiliegen“ (Seemannssprache für: stoppen) bis der Wind wieder gedreht hat. Das kann Tage dauern.
(Ein erfahrener südafrikanischer Segler der die Passage bereits siebenmal gemacht hat und seit Jahren das Wetter dort beobachtet meint, dass man während der ca. vierwöchigen Reise im Schnitt zweimal damit rechnen muss, in südliche Winde zu geraten. Das ist nicht ermutigend.)
Dieses Beiliegen, um darauf zu warten das die Windrichtung sich dreht funktioniert nur, wenn man die Möglichkeit hat mitten auf dem Meer Wetterdaten einzuholen. Mein Problem ist nun, dass ich kein Satellitentelefon an Bord habe und meine Kurzwellenanlage nicht fertigstellen konnte. D. h. ich habe keine Möglichkeit Wetterdaten einzuholen. Ich werde blind unterwegs sein und muss mich dem nahezu ungeschützt aussetzen.
Ich habe nicht geplant, Madagascar zu besuchen, weil ich dazu keine Zeit habe. Ich hoffe allerdings, kurz an Land gehen zu können (illegal, ohne einzuchecken) um neue Wetterdaten übers Internet abzufragen.
Auch habe ich Kontakt zu einem südafrikanischen Segler namens “Des Cason“. Des hat diesen Channel bereits sieben mal durchquert und kennt die Tücken in und auswendig, und er bietet sich seit vier Jahren an, Segler sicher durch den Kanal zu führen.
Vier weitere Segler die ich hier im Hafen kennengelernt habe, stehen auch in Kontakt mit ihm und werden sich von ihm durch den Kanal lotsen lassen.
Wie das funktioniert:
Die Segler geben ihre Positionsdaten an Des und er berechnet für sie die günstigste Route und gibt sie ihnen per Satellitentelefon oder „E-Mail via Kurzwellenanlage“ durch. Dies macht Des unentgeltlich seit vier Jahren!!!!
Er hat bisher über 250 Yachten durch den Kanal geführt. Letztes Jahr 105. Und ich bin die Yacht Nr. 77 für dieses Jahr, die er führen wird.
Der Typ ist unbeschreiblich, oder?!
In Ermangelung eines Satellitentelefons kann er mir allerdings keine Daten zukommen lassen. Einzig und allein wenn ich in Madagascar an Land gehe, wird er mir – so haben wir es vereinbart – eine Routenempfehlung gemäß des vorherrschenden Wetters geben. Mein Problem ist nur, dass ich länger unterwegs sein werde, als die Wettervorhersage eine Genauigkeit aufweist. D. h. ich werde einige Tage (genauer gesagt ehr zwei Wochen) „blind“ unterwegs sein.
Einige sehr wichtige Tipps hat mir Des allerdings geben gönnen. So besteht zum Teil für mich anhand der Beobachtung des barometrischen Luftdrucks die Möglichkeit die Zentren von Hoch- und Tiefdruckgebietenausfindig zu machen und dadurch die Windrichtung in etwa vorherzusehen. Das ist ein kleiner Lichtblick.
Genial wäre es für mich, eine SY zu finden die Satellitentelefon an Bord hat, und die ebenfalls den Channel durchquert, an die ich mich anhängen kann. So wie es aussieht, lassen sich wohl ALLE Segler die diesen Channel queren, von Des leiten, denn er hat diese Hilfestellung auf noonsite.com publiziert und angeboten, DIE Internetseite für Segler, die jeder Weltumsegler kennt und kontaktiert.
Ich werde in den nächsten Tagen hier die Ankerplätze abklappern und nach Seglern suchen, in der Hoffnung mich einem anderen Boot anzuschließen zu können, welches zur gleichen Zeit los segelt. Wenn ich hier niemanden finde, habe ich noch die Chance, auf Réunion jemanden zu finden. Wenn nicht, dann werde ich vier Wochen in Angst unterwegs sein. Ich hatte bisher – mit Ausnahme des Sturms von 65 kn den ich im Pazifik erlebt hatte – keine Angst gehabt, vor nix und niemanden. Jetzt allerdings muss ich gestehen: Ich hab mords Angst.
Ich weiß, man soll Gott nicht versuchen, aber ich hab keine Alternative. Ich muss an Madagascar vorbei. Die Alternative Suez Kanal scheidet wegen der Piraterie dort aus.
Ich habe bereits soviel Wunder erlebt, sodass ich hier auf Gott vertraue.
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